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Jana Bernhardt
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Cloud Alchemy – Art, Activism and Splitting Communities

Jana Bernhardt
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Die Alchemie der Wolken - Art, Activism and Splitting Communities

Für die sechsteilige Videoinstallation Die Alchemie der Wolken –
Art, Activism and Splitting Communities (2021) inszenieren Nina
Fischer & Maroan el Sani ein künstlerisches Experiment, in dem
es nicht wie in der klassischen Alchemie um chemische, sondern
um soziale Prozesse und Reaktionen geht. Als Reagenzglas
dient ihnen dabei ein Planspiel, in dem gesellschaftliche
Prozesse erprobt, Differenzen ausgelotet und neue Ansätze
geübt werden können. Inspiriert wurden sie von Toshiki Okadas
Erzählung Current Location (1). In der Geschichte geht
es um ein merkwürdiges Naturphänomen, das zu einem Streit
führt. Eine leuchtende Wolke verharrt über einem Dorf und gibt
Anlass zur Diskussion. Während die eine Hälfte der Dorfbewohner:
innen der Überzeugung ist, es handle sich um eine natürliche
Erscheinung, die vorüberziehen werde, ruft die andere zum
Handeln auf. Die Wolke sei ein Omen, das Anlass sein müsse,
das eigene Verhalten zu ändern. Während Okada sich mit dem
Text auf die Nuklearkatastrophe 2011 in Fukushima bezieht,
wenden sich Fischer & el Sani in Die Alchemie der Wolken der
Frage nach einem gemeinschaftlichen Zusammenleben im Angesicht
der Klimakatastrophe zu. Theoretische Ausgangspunkte
sind dabei Bruno Latours terrestrische und extraterrestrische
Visionen (2) sowie Texte von James Lovelock (3) und Lynn Margulis (4).
Teil der Videoproduktion waren zwei Workshops, die
das Themenfeld für die Darsteller:innen des Films einführten,
die bereits Erfahrungen in künstlerischen Performances, Film
oder Improvisation mitbrachten. Die kollektive Arbeit in den
Workshops erlaubte es ihnen, sich besser kennenzulernen und
den komplexen theoretischen Konzepten anzunähern. So thematisierte
der Workshop We don’t live on the same planet, geleitet
von der Performancekünstlerin Mira Hirtz, das fiktive Planetarium
des französischen Philosophen Bruno Latour, anhand
dessen er die Bedeutung der ökologischen Krise für alle Bereiche
des Politischen erläutert (5). Jede Entscheidung würde demnach
im Gravitationsfeld von sieben verschiedenen Planeten
(Globalization, Anthropocene, Exit, Security, Modernity, Terrestrial,
Vindication) getroffen. Die Planeten verkörpern verschie-
dene Perspektiven auf den aktuellen Zustand unserer Erde und
bedingen sich durch ihre Anziehungskräfte gegenseitig. Während
des Workshops lasen und diskutierten die Performer:innen
Latours Texte und übertrugen die theoretischen Schaubilder in
performative Handlungen. Der zweite Workshop Art and Activism
mit der Autorin und Umweltaktivistin Hanna Poddig widmete sich
konkret aktivistischen Praktiken und deren Verbandelung mit
künstlerischen Interventionen: Was verbindet Kunst und politischen
Aktivismus? Kann Aktivismus die Welt verändern? Welche
Rolle spielt dabei die Kunst? Müssen wir dafür Gesetze brechen?
Was hält uns davon ab, aktiv zu werden?
Die Dreharbeiten fanden auf dem Gelände der Floating
University Berlin (6) statt. Das fragile Biotop des Regenwasser-
auffangbeckens des ehemaligen Tempelhofer Flughafens dient seit
2018 als gemeinschaftlicher Lern- und Erprobungsort für kollaborative
Projekte. Je nach Jahreszeit und Wetterlage verändert
sich sein Aggregatzustand, so dass die Fläche mal durch das
ablaufende Regenwasser des nahen Tempelhofer Felds geflutet,
ausgedörrt oder von Flora begrünt erscheint. Über dieser Fläche
erstrecken sich Stege und temporäre Architekturen. Die Brache
funktioniert wie ein Modell des Ökosystems Erde und spiegelt
dessen Veränderungen durch Wetter und Klima unmittelbar wider.
Ebenso wie das Gelände finden sich schließlich auch die Figuren
des filmischen Experiments in einer Übergangssituation, in
der sich die Frage nach der Zukunft stellt.
Im fiktionalen Film Die Alchemie der Wolken ist ein siebenköpfiges
Kollektiv zu beobachten, das in einer nahen Zukunft
neue Lebensformen erprobt. Die Klimakrise ist bereits
fortgeschritten und es braucht neue Ansätze, um Gemeinschaft
zu leben. Während sich die einen vorstellen können, den Ort zu
verlassen und umzusiedeln, wollen die anderen bleiben. Immer
deutlicher treten die individuellen und kollektiven Ängste der
Künstler:innen, Performer:innen und Aktivist:innen in den Vordergrund
und spalten die Gemeinschaft.
In der Ausstellung werden die sechs Videos in einer hölzernen
Arena gezeigt, die an die Architektur des Drehortes erinnert.
Die Holzkonstruktion erlaubt es den Besucher:innen sich niederzulassen,
fordert sie jedoch gleichzeitig heraus: Sie müssen
auf den vielen Stufen und Plateaus ihren Platz wählen, während
sie sich zwangsläufig immer im Verhältnis zu ihren Mitzuschauer:
innen bewegen und positionieren. Die Installation lädt zudem
zum Diskutieren ein. In Reminiszenz an die Architekturen eines
antiken Theaters wird sie ebenfalls zum Aushandlungsort. In
der polis war das Theater schließlich nicht nur der Ort, an dem
die Tragödien aufgeführt wurden, sondern zeitgleich auch der
Ort des Gerichts, wo Partei ergriffen wurde und Verurteilungen
stattfanden (7). So wird in der Installation nicht nur ein Schauspiel
gezeigt, sondern es ist auch die Urteilskraft der Betrachter:innen
gefragt. Am Ende des Spiels ist es an ihnen über die eigene
Handlungsmacht zu entscheiden.
Wie im Film Die Alchemie der Wolken dargestellt,
schwebt die leuchtende Wolke unheilvoll über den Betrachter:
innen. Rundherum sind auf höchster Ebene zudem vier
weitere, den fiktionalen Film komplementierende Projektionen
arrangiert. Zwei davon dokumentieren die bereits erwähnten
Workshops und machen somit das Prozesshafte der
Produktion sichtbar. Teilweise von den Teilnehmer:innen mit
einer Handkamera gefilmt, wird das künstlerische Verfahren
transparent. Ein weiterer Screen zeigt einen experimentellen
Kurzfilm. Im Video Diary erzählt einer der Darsteller von einer
Kindheitserinnerung, in der er seine Angst, gegen ein offensichtliches
Unrecht einzuschreiten, nicht überwinden konnte.
Die letzte Projektion, der Marsfilm, gleicht hingegen einem
Werbevideo: Durch die Kompilation von Found Footage, wird
ein Auswandern ins Weltall angepriesen. Die Besiedelung des
Mars ist eine Idee, die an kontrovers diskutierte Bemühungen
von z.B. Jeff Bezos oder Elon Musk anknüpft, aber andererseits
auch einen Bezug zu Latours fiktivem Planeten Exit herstellt.
Im Spannungsfeld zwischen terrestrischen und extraterrestrischen
Gedanken, Utopien und Dystopien wirft das
künstlerische Experiment Fischer & el Sanis schließlich Fragen
auf, denen wir hinsichtlich der Klimakrise gegenüberstehen:
Wie sollen wir mit Extremwetterereignissen umgehen? Wollen
wir unsere Wahrnehmung darauf beschränken, in ihnen nur ein
zufälliges Naturphänomen zu sehen? Oder betrachten wir sie
als Anlass zum sofortigen Handeln? Wie kann die Spaltung der
Gesellschaft überwunden und neue Modelle des Zusammenlebens
für die Zukunft generiert werden?


1 Toshiki Okada ist ein japanischer Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur.
2 Bruno Latour: Das terrestrische Manifest. Übers. von Bernd Schwibs,
Berlin 2018.
3 James Lovelock: Gaia—A New Look at Life on Earth, Oxford 1979.
4 Lynn Margulis: Der Symbiotische Planet – oder wie die Evolution wirklich
verlief, Frankfurt a. M. 2018.
5 Bruno Latour: „We Don’t Seem to Live on the Same Planet“— A Fictional
Planetarium, in: Bruno Latour / Peter Weibel, Critical Zones. The Science and
Politics of Landing on Earth, Karlsruhe/Cambridge/London 2020, S. 276–281.
6 https://floating-berlin.org (Stand: 01.02.2022)
7 Vgl. Cornelia Vismann: Das Drama des Entscheidens, in: dies. (Hg.), Urteilen/
Entscheiden, München / Paderborn 2006, S. 91–100.

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Jana Bernhardt (translated by Tim Connell)
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Cloud Alchemy - Art, Activism and Splitting Communities

For the 6 channel video installation Cloud Alchemy – Art, Activism
and Splitting Communities (2021), Nina Fischer & Maroan el
Sani stage an artistic experiment in which the focus is not on
chemical processes and reactions as in classical alchemy, but
on their societal equivalents. A simulation serves them as a
kind of test tube, in which social processes can be tried out, differences
explored and new approaches practised. They were
inspired by Toshiki Okada’s play Current Location (2012).(1) The
story is about a strange natural phenomenon that leads to a
dispute: a luminous cloud lingers over a village and prompts
debate. The villagers are divided: one half is convinced that it
is a natural phenomenon and will shift over time, the other half
calls for action. In the view of the latter group, the cloud is an
omen and, as such, a compelling reason to change individual
behaviour. While Okada’s text refers specifically to the nuclear
disaster in Fukushima in 2011, Fischer & el Sani’s Cloud Alchemy
addresses the question of communal coexistence in the face of
the climate crisis. Theoretical starting points include the French
philosopher Bruno Latour’s Terrestrial and Extraterrestrial
visions (2), as well as seminal texts by James Lovelock (3) and Lynn
Margulis.(4)
Two workshops formed part of the video production
process and were geared toward introducing the subject area
to the performers in the film, who were already versed within the
fields of performance, film and improvisation. The collective exercises
in the workshops allowed the performers to get to know
one another better and to approach the complex theoretical
concepts at hand. For example, the workshop We don’t live on
the same planet – led by the performance artist Mira Hirtz – focussed
thematically on Bruno Latour’s “Fictional Planetarium”,
in which he explains the significance of the ecological crisis
with regard to the full spectrum of politics (5). According to this
scenario, every decision is made in respect of the gravitational
fields of seven different planets (Globalization, Anthropocene,
Exit, Security, Modernity, Terrestrial, Vindication). The planets
embody different perspectives on the current state of planet
Earth and reciprocally condition one another through their various
forces of attraction. During the workshop, the performers
read and discussed Latour’s texts, ultimately translating his theoretical
diagrams into performance. The second workshop, Art and
Activism – in conjunction with the author and environmental activist
Hanna Poddig – was dedicated to concrete activist practices
and their connection with artistic interventions: What connects
art and political activism? Can activism change the world? What
role does art play here? Do we have to break the law in pursuit of
this? What prevents us from becoming active?
The filming took place on the site of the Floating University
Berlin (6). Since 2018, the fragile biotope of the rainwater collection
basin of the former Tempelhof Airport has served as a community-
based place of learning and a testing ground for collaborative
projects. Depending on the season and the weather, its aggregate
state changes, with the effect that the area sometimes
appears either flooded by the rainwater run-off from the nearby
Tempelhofer Feld, completely parched or lush with flora. Jetties
and temporary architecture extend over its surface. The fallow
wasteland functions like a model of the earth’s ecosystem and
directly reflects its changes due to the weather and climate. Similar
to this terrain, the characters of the cinematic experiment ultimately
find themselves in a transitional situation, in which the
question of the future comes into focus.
In the fictional film Cloud Alchemy, a seven-strong collective
can be observed trying out new ways of living in a posited
near future. The climate crisis is already well advanced and
new approaches to the idea of community are essential. While
some can imagine departure and relocation, others want to stay.
Increasingly, the individual and collective fears of the artists, performers
and activists come to the fore and divide the community.
In the exhibition, the six videos are shown in a wooden
arena reminiscent of the architecture of the film’s location. The
wooden construction allows visitors to sit down, but at the same
time, it challenges them: they have to choose their place on the
many steps and mezzanines, while inevitably having to move and
reposition themselves in relation to their fellow viewers. The installation
also encourages debate. Reminiscent of the architecture of
ancient Greek theatre, it also becomes a place of negotiation. In
the polis, the theatre was not only the place where tragedies were
performed, but at the same time, it was also the domicile of the
court, where sides were taken and judgements passed (7). Fischer
& el Sani’s installation encompasses both of these modes; it is
both the performance of a play, but also an entreaty to the viewers
to exercise their own powers of judgement. At the end of the
play, it is up to them to decide about their own agency.
As depicted in the film Cloud Alchemy, the luminous cloud hovers
ominously above the viewers. Four further projections complementing
the fictional film are also arranged around it on the
uppermost level of the arena. Two of them document the aforementioned
workshops and thus render the production process
visible. Partly filmed by the participants with a hand-held camera,
they shed light on the artistic process itself. On another
screen, we can see an experimental short film; in Video Diary, one
of the performers tells of a childhood memory, in which he was
unable to overcome his fear of intervening in the light of an obvious
injustice. Alternatively, the final projection titled Mars Film
has the feel of an advertising video: by means of a compilation
of found footage, an exodus into space is promoted as a desirable
outcome. The colonisation of Mars is an idea that ties in
with controversial endeavours by Jeff Bezos and Elon Musk, for
example, but on the other hand, also references Latour’s dark
fictional planet Exit.
Within the dynamic of terrestrial and extraterrestrial
thoughts, utopias and dystopias, Fischer & el Sani’s artistic
experiment finally raises questions we face with regard to the
climate crisis: How should we react to and combat extreme
weather events? Do we want to limit our perceptions to viewing
them merely as random, passing natural phenomena? Or do we
see them as a catalyst for urgent action? How can the division
of society be overcome and new models of coexistence generated
for the future?

1 Toshiki Okada is a Japanese novelist, playwright and theatre director.
2 Bruno Latour, Down to Earth: Politics in the New Climatic Regime, trans.
Catherine Porter (Cambridge: Polity Press, 2018).
3 James Lovelock, Gaia – A New Look at Life on Earth (Oxford: OUP, 1979).
4 Lynn Margulis, Symbiotic Plant: A New Look at Evolution (New York: Basic
Books, 1998).
5 Bruno Latour: “‘We Don’t Seem to Live on the Same Planet’ – A Fictional
Planetarium,” in Bruno Latour and Peter Weibel, eds, Critical Zones. The
Science and Politics of Landing on Earth (Karlsruhe, Cambridge, Mass. and
London: MIT Press and ZKM Center for Art and Media, 2020), pp. 276–281.
6 https://floating-berlin.org.
7 Cf. Cornelia Vismann, “Das Drama des Entscheidens”, in Cornelia Vismann and
Thomas Weitin, eds, Urteilen / Entscheiden (Munich and Paderborn: Wilhelm
Fink Verlag, 2006), pp. 91–100.

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