Träume sind machbar, Idole sind planbar, und Menschen brauchen Idole. Kaum ein anderes Land lebt diese Gesetze der Unterhaltungsindustrie konsequenter als Japan. Idole - die so genannten "Idoru" - sind Identifikations-figuren für Millionen und ein Milliardengeschäft für die japanische Unterhaltungsindustrie. Im Land des Lächelns wird die Karriereplanung dieser "Idoru" keineswegs dem Zufall überlassen. Mit rigider asiatischer Disziplin basteln Talentschulen im ganzen Land an neuen Idolen für die japanische Gesellschaft. Die Entertainment- und Popkultur Japans lebt in einer bizarren Symbiose aus fernöstlicher Tradition und westlicher Ikonisierung massen-kompatibler Stars. Japans Kinder - und vor allem auch ihre Eltern - leben für den Traum, sich im glitzernden Scheinwerferlicht als Held der Massen feiern und als Vorbild verehren zu lassen. Um solche Talente zu finden und dann zu fördern und zu formen, braucht das Land entsprechende Talentschulen. Der Run auf sie ist riesengroß. Als vor vier Jahren die Talentschmiede "Okinawa Actor School" die erste nationale Audition veranstaltete, meldeten 53.000 Eltern ihre Kinder an, von denen schließlich nur neun Kinder aufgenommen wurden. Die Veranstaltung war so anstrengend, dass der Direktor der Schule kurzzeitig auf einem Auge erblindete. Die großen Talentschulen werden von den größten Konzernen des Landes unterstützt. Bereits im Kindesalter werden die Schüler systematisch auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet und auf jene kreative Identität getrimmt, die sich später erfolgreich vermarkten lässt.
Der Dokumentarfilm "Tokyo Star" erzählt vom steilen und steinigen Weg zum japanischen Superstar. Hierfür porträtieren die Filmemacher vier Protagonisten, die den klassischen Weg eines Idols gehen - vom Talent über das Debüt bis zum Superstar: Mito ist zehn Jahre alt und hat musikalisches Talent. Nach einer harten Aufnahmeprüfung erfüllt sich für sie und ihre Mutter ein Traum. Sie darf die Talentschmiede "Avex Artist Academy (AAA)" besuchen. Mito hat kaum Freizeit, da sie nach der Schule jeden Tag Kurse für ihre künstlerische Ausbildung besucht. Miho ist 13 Jahre alt. Sie hat 2001 eine Audition, die Sony Music Japan veranstaltet hat, gewonnen. Für ihr Debüt, an dem sie und vor allem ihre PR-Manager arbeiten, wird noch an einem Image gebastelt, R&B, Hip-Hop oder doch Reggae? Entschieden wird dies immer entsprechend der aktuellen Vermarktbarkeit. Die Filmemacher begleiten Miho bei ihren vielen Terminen und Trainingsstunden, aber auch beim so seltenen Schwatz mit der Schulfreundin. Für die normalen Interessen einer 13-Jährigen wie Jungs und Freundinnen hat Miho kaum Zeit. Sie stellt ihre persönlichen Belange hinter ihre Karriere, doch manchmal wird ihr bei dem Gedanken, welche Verantwortung da auf sie zukommt, angst und bange. Auf dem Gipfel angelangt ist Mika Nakashima. Sie ist 19 Jahre alt und derzeit einer der Superstars der japanischen Popmusik. Ihr letztes Album verkaufte sich in ihrer Heimat über 1,5 Millionen Mal. Auch bei Mikas Karriere arbeiten Plattenmulti Sony und die TV Produktionsfirma eng zusammen, um das richtige Image zu finden. Angelehnt an ihre Rolle in einer Fernsehserie verkörpert sie die junge Diva, die, gleichermaßen verführerisch wie unnahbar, zum Symbol einer ganzen Generation wird. Und schließlich Motoki, der sympathische 20-Jährige, der wie viele Geld und Freizeit für diesen Traum opfert, doch bei dem man stark zweifeln darf, ob er das nötige Talent hat, Konzertsäle mit Fans zu füllen.
Wie wird ein Superstar gemacht? Wie greifen die unterschiedlichen Werbestrategien ineinander? Können sich die jungen Mädchen in irgendeiner Form selbst einbringen, können sie ihr eigenes Image mitgestalten? Die Filmemacher Nina Fischer und Maroan El Sani geben Einblick in einen sehr speziellen Musikmarkt, der fast ausschließlich für Japan und einige wenige Länder im asiatischen Raum produziert. Ein Musikmarkt, in dem für jede Altersgruppe, vom Kindergarten über das Vorschulkind bis hin zur jungen Mutter, das passende Idol dabei ist, das speziell auf diese Zielgruppe hin konzipiert wurde. Ein Film zwischen Traum und Albtraum, zwischen Image und Persönlichkeit, der dem Zuschauer ohne erklärenden Kommentar eine genaue Beobachtung japanischer Kultur und Lebensform vermittelt.
"Tokyo Star" ist der Abschlussfilm der Filmemacher Nina Fischer und Maroan El Sani an der Berliner Film und Fernsehakademie (dffb).